REEM GHAZZAL
Patient Advocate
Unser Körper als Motor
Unser Körper ist wie ein Motor. Jeder von uns hat nur einen und es ist unsere Pflicht vorsichtig damit umzugehen, damit er ein Leben lang hält und uns soweit wie nur möglich bringt. Wir haben nicht alle den gleichen Motor, manche Motoren brauchen besondere „Pflege“, andere sind in ihrer Leistung eingeschränkt und wieder andere haben eine kürzere Lebensdauer.
Werdegang
Thalassämie oder umgangssprachlich „Mittelmeeranämie“ ist eine Erkrankung, bei der das Knochenmark durch einen Genetisch bedingten Fehler (das Fehlen einer, von 2 Globinketten) Hämoglobin mit einer kürzeren Lebensdauer produziert. Die normale Lebensdauer der roten Blutkörperchen beträgt ungefähr 120 Tage. Bei uns Thalassämikern durch den „Fehler“ etwa kaum die Hälfte. Deswegen arbeitet unser Knochenmark auf Hochtouren, um mit der Produktion nach zu kommen. Wir spüren den Mangel sehr Intensiv, da die Hauptaufgabe des Hämoglobins der Sauerstoff Transport ist. Im schlimmsten Fall, kann diese Erkrankung sogar tödlich enden. Um das zu unterbinden und das Knochenmark zu entlasten, brauchen wir Bluttransfusionen im 2 – 3 Wochen Turnus. Dies wiederum führt eine grosse menge an Eisen in unseren Körper. Das Eisen muss durch schwere Medikamente wieder ausgeschieden werden und so beginnt der Teufelskreis.
Meine Familie erfuhr von meiner Erkrankung als ich drei Jahre alt war. Sie wussten am Anfang nicht wie sie damit umgehen sollen, aber ich fing sehr bald an Transfusionen zu bekommen und auch ein Medikament zur Eisenausscheidung. Damals musste man das Medikament unter die Haut spritzen, heutzutage gibt es auch Tabletten.
Das einzige woran ich denken konnte war, wie unfair das ganze doch ist! Es war alles so schmerzvoll für mich. Ich wünschte mir ich könnte etwas tun, damit das alles aufhört! Nicht nur für mich selbst, sondern für jeden Thalassämiker.
Niemand hat so ein Schicksal verdient! Ich fühlte mich sehr einsam da ich mit keinem meiner Freunde darüber sprechen konnte, aber meine Eltern taten alles damit ich in der Schule keine Versäumnisse hatte und am Ball bleiben konnte. Ich fing an regelmässig einen Kardiologen zu besuchen. Anfangs dachten wir es sei Routine, welche zur Erkrankung gehört aber, es stelle sich heraus, dass ich noch ein Leiden mehr hatte und bald eine Herz OP brauchte.
Es bereitete mir großen Kummer zu erkennen, dass das Leben immer weitere Überraschungen auf Lager hatte. Gerade dann, wenn man denkt es ist schon schwer genug. Trotz allem ging es irgendwie weiter, ich konzentrierte mich auf die Schule und dachte mir egal wie schwer es ist ich habe nur dieses eine Leben und ich werde versuchen das beste daraus zu machen! Was ich am meisten hasste war mir eingestehen zu müssen, dass ich oft müde und erschöpft war.
Meine Mutter sagte mir ich sollte es besser vor meinen Freunden geheim halten, denn sie könnten womöglich ablehnend reagieren oder mich bemitleiden. Das machte mich sehr einsam. Ich fragte mich wozu ich eigentlich Freunde habe, wenn ich die größte Last, die auf meinen schultern sitzt, nicht mit ihnen teilen kann! Mit der Zeit lernte ich, mich auf mich selber zu verlassen. Ich verstand, dass ich fast alles tun konnte, wie ein „Gesunder“, denn Schwäche hat viel mit innerer Einstellung zu tun!
Ich war immer eine der besten in meiner Klasse. Ich war auch sehr beliebt, da ich mehr Empathie für andere aufbringen konnte als meine Mitschüler. Als ich die Schule beendete, schrieb ich mich in der Universität ein. Voller Enthusiasmus begann mein erstes Semester Elektrotechnik . Es machte mir ungeheuren Spaß, vor allem Mathematik möchte ich sehr. Ich erkannte, dass durch das Lernen mein Geist und meine Kreativität wuchs, auch in anderen Bereichen. Dann brach der Bürgerkrieg in Syrien aus. Krieg, wie sich jeder vorstellen kann, ist die absolute Hölle auf Erden. Einer meiner engsten Freunde, der auch ein Thalassämiker, war wurde umgebracht, obwohl er nichts mit Politik zu tun hatte. Das Leben meldete sich in seiner vollen Härte.
Kurz darauf erfuhr ich, dass ich dringend eine neue Herzklappe brauchte. Jedoch waren die Umstände in Syrien mehr als schlecht. Mein Vater versuchte Alles, um uns nach Deutschland zu bringen und er schaffte es. Es war keine leichte Operation, aber es hat geklappt! Ich habe jetzt eine neue Herzklappe, die hält circa 15 Jahre. Ich habe mich gegen eine künstliche Herzklappe entschieden, da ich sonst keine Kinder bekommen kann.
Ich möchte mein Studium hier in Deutschland fortsetzen. Ich weiß, viele Menschen würden jetzt sagen dass ich das nicht tun muss, weil ich schon genug durchgemacht habe und niemandem etwas beweisen muss. Aber ich werde weiter machen, denn ich stehe erst am Anfang! Ich habe in meinem Leben noch so viel vor auch, wenn meine Fähigkeiten „limitiert“ sind. Ich weiß dass jeder Mensch seine eigenen Sorgen und Ängste hat und ich versuche immer zu helfen dort wo ich kann.
Ich bin mir im Klaren darüber, dass es sehr schwer ist, denn man kann leider nicht jeden erreichen aber in meinen Augen ist es keine Heldentat zu helfen. Es verlangt nur viel Mut und harte Arbeit.
Ich wünsche mir für DEGETHA die Kraft, so viele Thalassämiker wie nur möglich zu erreichen und ihnen auf allen Wegen zu helfen, die von Nöten sind.
DEGETHA besteht selbst größtenteils aus Betroffenen und Die wissen am besten was uns fehlt. Es soll allen Hoffnung machen und ihnen zeigen, dass uns nichts aufhalten kann. Meine Erkrankung macht mich stolz, denn dadurch habe ich gelernt wie schön es ist anderen zu helfen.